Dahl, Jürgen
Natur und Kultur, Jg. 7/2 (2006), Seiten 79-93
Im ökologischen Verständnis der Blattlaus spielt die Marienkäfer-Larve die Rolle des höchst unerwünschten Todfeindes, während sie, eben wegen ihres Appetits auf Blattläuse, dem ‘ökologisch’ denkenden Menschen als willkommene Helferin gilt. Die Frage, wer mit seiner Einschätzung der Marienkäfer-Larve eher im Recht wäre, lässt sich nicht mit Hilfe der Ökologie beantworten, denn die Ökologie sagt nichts über das Recht eines Lebewesens, in seiner Umwelt zu überleben, sondern skizziert nur die Muster der Abläufe, innerhalb derer dieses Überleben gelingt – oder scheitert. Nicht an unseren fadenscheinigen Detailkenntnissen hätte sich unser Handeln in der Natur zu orientieren, sondern an unseren Unkenntnissen; da ließe sich der gröbste Unfug, zu dem die Kenntnisse missbraucht werden, vielleicht vermeiden. Nimmt man die Unwissenheit zum Maßstab, die Unfassbarkeit der vielfältigen Zusammenhänge, die Unermesslichkeit der niemals ganz aufzudeckenden Lebensbezüge, dann verschwindet das dürre Gerüst ökologischer Regelwerke und Diagramme und Stoffbilanzen hinter dem Bild des großen unbegreiflichen Gartens.